Via Alpina – eine Bergtour der besonderen Art. Nicht nur, was die Länge angeht …

Über den Fernwanderweg „Via Alpina“ sind wir von der Zugspitze nach Liechtenstein gelaufen – ein Reisebericht einer einzigartigen Alpen-Expedition.

Am Ende stehen wir ganz oben. Zumindest was die Höhe über dem Meeresspiegel angeht – denn der finale Gipfel unserer Via-Alpina-Fernwanderung ist mit 2570 m auch der höchste. Acht Tage lang bin ich mit Jan, einem meiner besten Freunde, durch die Alpen gewandert, um jetzt hier mit Blasen, beidseitig durchgelaufenen Schuhen, aber glücklich auf dem Naafkopf anzukommen – wortwörtlich am Höhepunkt. Zugleich ist der wuchtige Gipfel ganz im Süden von Liechtenstein ein Symbol für die besonderen Geschichten, die eine Alpenüberquerung auf einer so traditionsreichen Route wie der von uns gewählten „Via Alpina“ erzählt.

Etwa, wie sehr Fernwandern das Verständnis für die europäische Idee schärft: Das Naafkopf-Gipfelkreuz steht genau auf der Staatsgrenze zwischen dem österreichischen Bundesland Vorarlberg, dem Schweizer Kanton Graubünden und der liechtensteinischen Gemeinde Schaan. Ein Dreiländereck über den Wolken. 

Auf der Via Alpina lernt man die EU neu zu schätzen 

Welche Vorteile uns das vereinte Europa bringt, erleben wir hier an so trivialen Dingen wie dem Mobilfunknetz: In einem Moment, im Schweizer Netz, zahlen wir Roaming-Gebühren; empfängt die Antenne das österreichische Signal, sind wir technologisch wieder in der EU und surfen kostenlos. Wie teuer uns ein vereintes Europa sein sollte, daran wird uns nächsten Monat unsere Handyrechnung erinnern.

Mobilfunkstandards, Dialekte, Kulturen: Die Alpen sind in vielerlei Hinsicht eine sehr vielfältige, multikulturelle Region, das haben wir auf unserer Tour gelernt. Einer Tour, die acht Tage zuvor im Tiroler Ort Lermoos unterhalb der Zugspitze startete und uns nach 225 km (zugegebenermaßen ist das nicht das Familien-, sondern das Marathon-Programm) und 7 Etappen durch 4 Länder auf den Naafkopf führte. 

Einer Tour, die wir nie gemacht hätten, hätte nicht der Weitwanderweg Via Alpina heuer 20. Geburtstag und daher Menschen aus ganz Europa aufgerufen, Teilstücke des in Summe mehr als 5.000 km langen Wegenetzes durch alle Alpenstaaten zu wandern. Mehr Bilder und Videos von der Tour gibt’s übrigens hier auf Instagram bei @viaalpina. Folgen lohnt sich!

So ernsthaft mit den Alpen beschäftigt wie auf der Via Alpina habe ich mich noch nie 

Früher waren unsere Wanderungen meist singuläre Gipfelstürme: Hoch, Aussicht, runter – und klar: Ratschen, essen, gucken – der Weg ist schließlich das Ziel. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Kulturraum Alpen und den Menschen haben wir nie wirklich gesucht.

Auf solch einer Fernwanderung ereilt sie einen fast zwangsläufig: Ob es an der Zeit liegt, die wir haben, an der Vielfalt der Eindrücke oder daran, dass heute Wikipedia und Google-Suche immer zur Hand sind? So substanziell mit den Alpen beschäftigt wie in dieser Woche habe ich mich noch nie. 

Allein, was wir über einen Mini-Staat wie Liechtenstein gelernt haben, den man hier vom Naafkopf fast komplett überblickt. Dass das Land kaum halb so groß ist wie München. Dass einst spätmittelalterliche Wiener Fürsten sich für Prestige und Geldanlage ein paar heruntergewirtschaftete und verheerte Ländereien im Rheintal kauften, die sich dann eher zufällig zu Liechtenstein formten. Oder dass der Landstrich seit Napoleon von Kriegen verschont geblieben ist – ein bemerkenswerter Luxus, denkt man sich in diesen unfriedlichen Tagen … 

Viel gelernt haben wir auch über die Menschen in den Alpen – diese Geschichte lässt sich ebenfalls hier oben erzählen: Denn 350 Meter weiter unter uns trutzt die Pfälzerhütte auf dem Bettlerjoch, einem leicht erklimmbaren Gipfelrücken im Rätikon. Sie ist eine von fünf Alpenvereinshütten, die wir in der Woche besucht haben (zweimal haben wir im Tal in Pensionen genächtigt). 

Über kanadische Investmentbanker und asiatische Teenagerinnen

So unterschiedlich die Hütten, so unterschiedlich die Menschen, die wir dort treffen: vom kanadischen Investmentbanker bis zur alternativen Hautärztin aus Oberbayern, die aus Abscheu vor dem Botox-Boom in München in eine Praxis im Oberland emigriert ist. Vom lesbischen Pärchen aus Hannover, das zum ersten Mal in den Bergen ist, bis zu den sechs asiatischen Teenagerinnen, deren Begegnung mit der hiesigen Hüttenwirtin ein Maximum an interkultureller Kommunikationskompetenz erfordert.

Wer eine Woche in den Alpen unterwegs ist, sieht, wie bunt sie sind – gerade mit Blick auf die Menschen. Und das, obwohl die dort ganz unten auf der Pfälzerhütte gerade alle gleich ausschauen wie wuselige Ameisen.

Zu guter Letzt ist der Naafkopf-Gipfel auch ein Ort, wo sich eine weniger schöne Geschichte erzählen lässt. Die von den ökologischen Herausforderungen, denen die Alpen angesichts des Klimawandels ausgesetzt sind. Auf den letzten Stunden zum Gipfel haben wir diverse Bachbette passiert – bis auf eines waren alle ausgetrocknet.

Dass der Alpenraum vom Klimawandel überdurchschnittlich stark betroffen ist, ist bekannt. Dass er sich seit dem späten 19. Jahrhundert um 2 °C, und damit zweimal so stark erwärmt hat wie der globale Durchschnitt, ebenso. Doch diese Zahlen sind abstrakt. Daher schocken sie uns auch so wenig. 

Unser Vorbild in puncto Umweltschutz ist das Prinz-Luitpold-Haus

Dass man plötzlich auf zwei unserer fünf Hütten für Trinkwasser zahlen muss, das sorgt für Diskussionen beim Abendessen. Weil die Klimakrise in den eigenen Geldbörsen ankommt – auch beim Wandern. Und zugleich braucht es vermutlich genau diese persönliche Betroffenheit, damit wir ernsthaft umdenken. Weil wir im wahrsten Sinne dafür zahlen müssen, wenn die einstigen Gebirgsbäche um ums herum nur noch verstaubten Steinrinnen sind. 

Zugleich ist es toll zu sehen, wie viel verschiedene Menschen und Initiativen in den Alpen tun, um dem Klimawandel die Stirn zu bieten. Ganz besonders hervorzuheben ist die Pächterfamilie des Prinz-Luitpold-Hauses oberhalb von Oberstdorf, die von Solarstrom über Wasseraufbereitung bis zur lokalen Bioküche alle Register zieht, um ökologisch zu wirtschaften. 

Die Alpen haben es verdient, dass wir uns um sie bemühen – wie wichtig das ist, das ist die wohl wichtigste Erkenntnis, die wir von der Via Alpina mitnehmen.

Zahlen, Daten, Fakten – das solltet ihr zur „Via Alpina“ wissen:

Die Via Alpina ist ein mehr als 5000 km langes Wegenetz in den acht Alpenländern. 5 Routen sind aufgeteilt in 342 Tagesetappen. Wir sind einen Teil des „roten Weges“ gelaufen, der sich von Triest bis Monaco entlang des gesamten Alpenbogens zieht.

Die Via Alpina wurde Anfang des Jahrtausends von einer Gruppe öffentlicher und privater Organisationen ins Leben gerufen und mit EU-Mitteln ausgebaut. Seit 2002 ist die Via Alpina zudem ein offizielles Projekt der Alpenkonvention, die eine nachhaltige Entwicklung im Alpenraum fördert. 

Das Besondere ist, dass für die Via Alpina keine neuen Wege und sonstigen Infrastrukturen angelegt wurden. Im Sinne eines naturschonenden Tourismus greift sie auf das Netz bestehender Wanderwege und Unterkünfte zurück. Das Via-Alpina-Logo wurde auf bestehender Beschilderung angebracht. Zudem gibt es mancherorts, leider allerdings auf unserem Wegstück eher selten, mehrsprachige Informationstafeln.

Diese Passagen sind vor allem für Münchner:innen geeignet

Unsere Tour mit 225 km in einer Woche war nur deswegen so anspruchsvoll, weil wir zwölf Tagesetappen in sieben Tagen absolvierten. Die übliche Länge der Teilstücke liegt bei 10 bis 25 km – nur einzelne sind länger. Die Wege sind so gewählt, dass sie technisch nicht anspruchsvoll sind und daher auch alpinen Einsteigern zugänglich (außer bei Schnee). 

Wer von München aus startet, die/der findet – wie wir – in Lermoos einen guten Einstieg in den „roten Weg“, da man hierher bequem mit dem Zug gelangt. Je nach Lust und Zeit kann man beispielsweise bis Oberstdorf (zwei offizielle Etappen) oder Feldkirch (sieben) laufen. Von beiden Orten kommt man mit der Bahn leicht wieder nach München zurück. Ein ähnlich gut erreichbares Teilstück des „violetten Weges“ führt von Lenggries über Brauneck nach Füssen (sieben Etappen). Wer die Alpen von Deutschland kommend aus gen Süden überqueren möchte, kann auf dem „gelben Weg“ von Oberstdorf nach Triest laufen (40 Etappen).

Drei Hütten auf unserem Part der Via Alpina empfehlen wir besonders:

Prinz-Luitpold-Haus – eine der ältesten DAV-Hütten in den Allgäuer Alpen mit 160 Schlafplätzen. Von der sympathischen Pächterfamilie Erd konsequent auf ökologischen Tourismus getrimmt, inklusive einer tollen Auswahl an Bioessen aus der Region. Es gibt auch Familienzimmer.

Biberacher Hütte im hinteren Bregenzerwald mit Liegestühlen auf der Sonnenterrasse und einem gigantischen Panoramablick Richtung Schweiz und über Vorarlberg – unbedingt hier nächtigen, auch wenn sie von der Via Alpina nicht als Etappenziel, sondern nur als Wegpunkt auf der Route vorgeschlagen ist. Der schönste Aufstieg von Schröcken über das Braunarl Fürggele ist leider kein offizieller Part der Via Alpina. Dieser führt über Unterboden und Schadonapass und besteht fast ausschließlich aus Forstwegen.

Gafadurahütte vom Liechtensteinischen Alpenverein. Von allen besuchten Hütten das beste Essen, und die Hüttenwirtin Silke ist eine Seele. Sonntags ist die Hütte zurzeit für Übernachtungsgäste geschlossen.

Wichtig zu wissen: Die Benutzung eines Hüttenschlafsacks ist auf Alpenvereins-Hütten obligatorisch, daher bitte einen mitnehmen. Und auf den meisten Hütten kann man nur bar zahlen, auf den Liechtensteinischen immerhin auch in Euro.

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Unsere Tour wurde von der hinter „Via Alpina“ stehenden Organisation CIPRA finanziell unterstützt.

 

 

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